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Diese Momente...



... wenn du eigentlich was anderes tust und dabei feststellst, dass du deinen Rucksack unbemerkt neu eingeräumt hast.

 

Ich bin heute mit dem Wunsch aufgewacht meiner Mutter einen Brief zu schreiben.

Wer meine Geschichte kennt, der weiß, dass ich sie seit über 12 Jahren nicht getroffen habe, der weiß, dass ich erst seit ein paar Jahren mit ihr wieder kommuniziere und der weiß, dass ich sehr viele Ängste und sehr viel Wut auf sie hatte.

Sie hat damals Fehler in ihrem Leben gemacht, Entscheidungen für ihr Lebengetroffen, die sie in diesem Moment richtig fand, die sich aber auch auf mein Leben ausgewirkt haben. Manchmal tut man solche Dinge. Manchmal kann man aus seiner Haut nicht raus.... so sind wir Menschen eben.

Vordergründig waren es Schlimme Dinge in ihrem Leben (Drogen, Gefängnis, Psychiatrie...) und auch schlimme Erlebnisse für meines (Mutter wird verhaftet, Verwahrlosung, rausgerissen werden und über Nacht ein neues Leben gestopft werden...)

Über Nacht ein neues Leben.... und das war gut so. Es war mit viel Schmerz verbunden und viel Wut, weil ich IHR die Schuld gegeben habe. Das macht es manchmal leichter... Sie ist schuld, dass ich etwas nicht kann, sie ist schuld, dass ich so bin wie ich bin. Früher ein Mäuschen, immer lächeln, nie für meinen Bedürfnisse einstehen und und und....

Ich habe jetzt über 10 Jahre gebraucht um zu verstehen, dass Schuld niemandem hilft, dass meine Wut mir viel mehr Ärger macht als ihr, dass Vergebung der Schlüssel für mich ist. Das kommt nicht von Heute auf Morgen, das ist ein langer Prozess, aber er lohnt sich.

Ich hätte nie gedacht, dass ich so denken werde, dass ich das so schreiben werde und schon gar nicht öffentlich. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal den Wunsch habe mit ihr an einem Tisch zu sitzen und mir ihre Geschichte erzählen zu lassen. Ich hätte nie geglaubt, dass ich gespannt bin, was ich aus ihrer Geschichte für mein Leben noch lernen kann. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so offen und so bewusst über die ganze Geschichte nachdenke.

Ich sitze also heute Morgen im Wintergarten und schreibe einen Brief an sie. Ich hatte sie vor ein paar Wochen nach einem Treffen gefragt. Sie hat abgelehnt. Sie schämt sich für ihr Äußeres und will nicht, dass ich sie so sehe. Ich denke sie hat Angst, weil viel Erinnerungen auch bei ihr wieder hoch kommen werden. Es wird eine krasse Konfrontation für sie, wenn sie an mir erkennt, wie ich mein Leben führe und wie sie es nicht geschafft hat zu leben.

Schuld und Scham sind neben der Angst die Schlimmsten Gefühle!

Wir beide haben keine Ahnung auf welchen Menschen wir treffen werden, wie das Treffen verlaufen wird und wie es danach weiter geht. Aber das ist okay so, ich will ohne Erwartung hin gehen, dann kann ich nicht enttäuscht werden.

Ich versuche sie mit meinen Worten zu überzeugen, lege ihr ein paar Fotos bei und erzähle ein bisschen was sich in mir verändert hat. Ich hoffe sie ändert ihre Meinung.

 

Aus Wut, Schmerz und Angst wurde das Bedürfnis nach Frieden.

Ich habe ihr vergeben, dass sie Fehler gemacht hat, weil mir bewusst wurde, dass auch ich Fehler mache und noch machen werde.

Ich habe gelernt, dass man manchmal nicht aus seiner Haut kann und dass unfassbar viel Mut und Stärke dazu gehört, seine Probleme zu erkennen, sie anzugehen und sich dann auch noch helfen zu lassen.

Aus Bauchschmerzen wurden Gefühle der Dankbarkeit.

Ich bin dankbar, dass ihr Leben so verlaufen ist, weil meines sonst nicht so wäre.

Ich bin dankbar, dass sie mich hat gehen lassen, damit ich mein Leben gehen kann.

Ich bin dankbar, dass ich aus ihren Fehlern lernen konnte.

Ich bin dankbar, dass ich jetzt an diesen Erfahrungen so wachsen darf.

Es fühlt sich so gut an, festzustellen, dass sich mein Rucksack neu gepackt hat.

Wut und Bauchweh raus - Hoffnung und Dankbarkeit rein.

Ich liebe diese stillen Momente, in denen mir das Herz aufgeht, weil mir klar wird, dass ich wieder ein Stück weiter bin in meinem Leben, stärker, größer, reifer... aber auch mehr bei mir.

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